Gemeinschaft neu träumen

Jede und jeder Dritte fühle sich einsam – manchmal. Sagt eine aktuelle Studie. Kirchen öffnen ihre Türen. Ein Bauwagen im Kirchenquartier bietet immer donnerstags Kaffee und Kuchen und ein offenes Ohr für die Menschen im Stadtteil., Demenz-WGs der Diakonie sorgen dafür, dass die Erkrankten nicht so einsam sind. Gottesdienste kommen gastfreundlich und fröhlich daher. Ausstellungen machen die Einsamkeit an fatigue-Erkrankter öffentlich und Kirchengemeinden beten für sie: es gibt sie , die Wege aus der Einsamkeit. In dieser Woche denken wir in den DLF Morgenandachten darüber nach, träumen Gemeinschaft neu und freuen uns über Rückmeldungen und neue Ideen. Täglich um 6:35 Uhr – und wem das zu früh ist, der kann hier in Ruhe die Texte noch einmal nachlesen.

„Stellt euch vor, wir würden nochmal auf Anfang gehen. Als Gemeinschaft, als Gesellschaft, alle zusammen. Und dann würden wir überlegen: Wie wollen wir eigentlich miteinander leben?“ Das lese ich auf Instagram. Die Wohnzimmerkirche in Hamburg möchte mit ihren Gästen über Gemeinschaft nachdenken. Nicht zuletzt nach der Europawahl brennt die Frage neu: Wie wollen wir zusammenleben? Was kann die Kirche dazu beitragen? Zu einer guten Gemeinschaft – Gesellschaft? In der wir frei leben können, ohne uns gegenseitig zu diskriminieren, ohne in Schubladen zu denken.

Vor Kurzem habe ich in einem Gottesdienst-Workshop mit Verantwortlichen einer Gemeinde über das Thema nachgedacht. Wir starten mit der Frage: „Welche Gemeinschaft tut dir gut?“ Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer legen ihre Antworten in die Mitte. Da steht zum Beispiel: „Wo mensch sein darf, wie mensch ist.“ „Sport“. „Wo Menschen meinen Humor verstehen.“ „Der Chor“.

Ein Mann sagt plötzlich energisch: „Ich muss das jetzt einfach mal sagen. Ich mag es, wenn meine Umgebung sich nicht ständig ändert, sondern wenn sie beständig ist. Ich wohne seit über 50 Jahren in meinem Haus. Ich bin seit Jahrzehnten in dieser Kirchengemeinde und…“,  seine Stimme bricht. „Und ich war über 50 Jahre lang mit meiner Frau verheiratet. Jetzt ist sie gestorben.“

Seine Stimme wird wieder fester: „So bin ich eben, ich mag es verlässlich.“ Als ob er sich entschuldigen müsste. Muss er gar nicht. Vielmehr beginnen wir, uns offen zu erzählen, was für eine Gemeinschaft wir uns im Gottesdienst und in der Gemeinde erträumen – und, was die Leute sich im Stadtteil vielleicht wünschen.

„Ich glaube, hier sind richtig viele Leute einsam“, sagt eine Teilnehmerin. Sie hat Kopien von der aktuellen „Einsamkeitsstudie“ mitgebracht. Sie zitiert: „Neuen Analysen des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung zufolge fühlt sich heute jeder Dritte zwischen 18 und 53 Jahren zumindest teilweise einsam, zuletzt mit deutlich steigender Tendenz.“ (1)

Jeder Dritte… Alle nicken. Und plötzlich geht es durcheinander. Eine Idee jagt die andere, welche Gelegenheiten für Kontakt und Gemeinschaft es geben kann. Ich erzähle vom „Bauwagen im Quartier“ (2). Den hat ein Nachbarschaftsprojekt vor einer Kirche aufgestellt. Immer donnerstags gibt’s dort Kaffee und Kuchen und vor allem Menschen, die zuhören. Ein Ort, an den Menschen andocken können. Vielleicht ist ihnen die Schwelle der Kirche zu hoch ist, aber ein Kaffee-Wagen mit Menschen von der Kirche ist o.k.

In unserem Workshop ist bald klar, dass es immer samstags nach dem Abendgottesdienst ein gemeinsames Essen geben soll. Ein kurzer Abendgottesdienst und dann gemeinsam Suppe essen. Im Vorraum. Oder am besten gleich auf dem Vorplatz. „Wir haben doch in der Corona-Zeit den Segen auch immer vor der Kirchentür gemacht“, sagt einer. Die Idee könnte in sich ein Gemeinschafts-Ding werden: Konfirmanden könnten im Rahmen eines Food-Saving Projektes kochen. Haben sie schon öfter gemacht. Die Menschen drum herum im Viertel werden eingeladen, dabei zu sein.

Der Mann, der es verlässlich und beständig mag, ist Feuer und Flamme. Es herrscht ein kreatives Durcheinander. Fast ein bisschen wie bei den ersten Jüngerinnen und Jüngern an Pfingsten. Die hatten sich verkrochen, aber auf einmal packt sie Gottes Geist und sie trauen sich wieder was. Sie gehen begeistert raus. Begeistert nicht nur von sich und unter sich. Sondern, weil sie die Türen öffnen für eine größere Gemeinschaft.

Auf Instagram habe ich in der digitalen Brot-und-Liebe-Gemeinde einen Segen für Gemeinschaften gelesen, den ich schön finde: „In einer Welt, in der es schwer ist, seinen Platz zu finden, sei gesegnet mit Herzensgemeinschaften. Sei gesegnet mit Orten, an denen du loslassen kannst und getragen wirst. Sei gesegnet, wenn du nicht weißt, ob es eine Gemeinschaft für dich gibt.“ (3)